Kontraste

Was siehst du?

Wenn ich danach frage was du siehst, dann beziehe ich mich offensichtlich auf deinen Sehsinn. Der Mensch hat ja eine Menge Sinne, um seine Umwelt wahrnehmen zu können. Mitunter ist das ganz hilfreich, denn wer den heuanbrausenden Lkw nicht hört, der gerät schnell unter die Räder. Seit ich auf einem Ohr nur noch 30% höre und damit auch mein Ortungssinn eingeschränkt ist, muss ich mich viel mehr als früher auf meine Erfahrung und meine Augen verlassen.

Mit solcher Einschränkung zu leben, kann zur Herausforderung werden, sie hilft aber auch andere, die eine Einschränkung haben, besser verstehen zu können. Doch was für das Hören gilt, darf auch auf das Sehen übertragen werden. Und deshalb habe ich eine kleine Übung vorbereitet.

Ich habe ein paar Farbtafeln erstellt und ihr dürft raten, was ihr seht.

Im Grunde sind es nur einfache Farbtafeln, die die meisten wohl auch gut erkannt haben, doch selbst wenn keiner von euch eine Farbfehlsichtigkeit hat, ist es doch nicht so einfach zu beschreiben, was zu sehen ist. Das Bild scheint trügerisch zu sein und uns an der Nase herum führen zu wollen. Ok, ein wenig spitzfindig ist die kleine Übung schon und doch versteht ihr sicher, dass eben das was wir sehen, nicht dem entsprechen muss, was ein anderer sieht und schon gar nicht, was tatsächlich existiert. Somit erklären sich viele Ungereimtheiten, wenn wir plötzlich feststellen, dass wir mit jemand anderes partout nicht auf einen Nenner kommen und dieser einfach nicht das “sehen” will, was uns so klar vor Augen liegt.

Ist das Leben Schwarz/Weiss?

Das erste Bild, die graue Fläche, kennen wir gut aus der Schwarzweissfotografie und im Grunde, das ahnen wir nun schon, ist dieser Begriff irreführend, denn wir haben nicht nur Schwarz und Weiss, sondern Grautöne, oder genauer, unterschiedliche Helligkeitswerte. Als Chemiker könnte uns Waldemar die Oxidation des Silbernitrates sogar noch viel genauer erklären, die bei der analogen Fotografie genutzt und durch das Sonnenlicht ausgelöst wird. Mehr Sonne, heißt hier mehr Oxidation, also Dunkler. Das kennen wir ja aus eigener Erfahrung, wenn wir mal zu lange in der Sonne lagen, da werden wir auch schön braun und knusprig ;)

Übertragen wir diese Beobachtung auf unser Leben; ist es also möglich, dass unser Leben Schwarzweiss ist?

Denke ich an meine Kindheit zurück, so ist diese vor meinem inneren Auge tatsächlich Schwarzweiss. Das liegt wohl daran, dass wir nur einen Schwarzweiss-Fernseher hatten und alles in der DDR so grau war, sogar die Gesichter.

Ich habe uns heute ein Poetry1 mitgebracht, dass dieses Schwarzweiss aufbrechen will. Es ist herausfordernd und in einigen Punkten provozierend und doch entspricht es genau dem, was uns unsere Jahreslosung zu erklären versucht:

  1. Tes. 5, 21: «Prüft jedoch alles und behaltet das Gute!»

Ich würde auch nicht allen Punkten uneingeschränkt zustimmen, doch wirft es einen übersehbaren Schatten auf unseren Umgang mit Minderheiten, mit Menschen, Menschen die anders sind und - für die Jesus eingetreten ist.

Was mich selbst erstaunte ist, dass ich mit dem Text von Sarah Kersting von niA Wortmusik ganz anders umgehen kann, wenn ich mich genau darauf konzentriere. Darauf, wie Jesus diesen Text lesen würde.

Versuchen wir es alle unter diesem Gesichtspunkt zu hören und zu verstehen. Ich sortiere es dann und wir finden hoffentlich das Gute, das wir behalten wollen.

// Clip

Das Gesetz

Ich muss zugeben, schon der erste Satz machte mir zu schaffen, denn in Lev. 20, 13, liest uns Gott gehörig die Leviten, könnte man sagen. Besser, Gott gab den Israeliten Regeln, nach denen sie sich richten und die ihren Umgang zwischen ihnen und ihrer Lebenswelt regeln sollten. Ich lese es mal vor:

Wenn ein Mann mit einem anderen Mann schläft, ist dies eine abscheuliche Tat. Beide sollen mit dem Tod bestraft werden, ihre Schuld fällt auf sie zurück.

Das ist schon krass, oder. Auch Paulus schreibt in Römer 1,26-27:

Weil die Menschen Gottes Wahrheit mit Füßen traten, gab Gott sie ihren Leidenschaften preis, durch die sie sich selbst entehren: Die Frauen haben die natürliche Sexualität aufgegeben und gehen gleichgeschlechtliche Beziehungen ein. Ebenso haben die Männer die natürliche Beziehung zur Frau mit einer unnatürlichen vertauscht: Männer treiben es mit Männern, ohne sich dafür zu schämen, und lassen ihrer Lust freien Lauf. So erfahren sie die gerechte Strafe für ihren Götzendienst am eigenen Leib.

Diese Verse bilden oft die Grundlage für die traditionelle Sichtweise im Bezug auf die Sexualität des Menschen und als Begründung dafür, dass der christliche Glauben mit Homosexualität nicht vereinbar sei.

Es gibt jedoch auch Christen und Theologen, die diese Texte anders interpretieren und argumentieren, dass die Bibel in ihrem kulturellen und historischen Kontext verstanden werden muss. Sie betonen, dass die zentrale Botschaft des Evangeliums Liebe und Akzeptanz ist und dass Jesus selbst Menschen nicht aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verurteilt hat. Diese Perspektive legt nahe, dass gleichgeschlechtliche Liebe nicht grundsätzlich sündhaft ist, sondern dass es auf die Qualität der Beziehung und die Liebe zwischen den Partnern ankommt.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Unterscheidung zwischen sexuellen Handlungen und der sexuellen Orientierung. Einige argumentieren, dass die Bibel sich eher auf bestimmte sexuelle Praktiken bezieht, die in der damaligen Zeit als unnatürlich galten, und nicht auf die Orientierung an sich.

Stellt man beide Argumentationen gegenüber, so stellt man fest, dass beide berechtigte Einwände liefern. Und schlussendlich bleiben wir doch wieder ratlos zurück?!

Und ich muss weiter zugeben, dass ich bei diesem Thema sehr in's wichteln gekommen bin, denn es ist äußerst komplex. Nichts ist Schwarzweiss und wir könnten uns einfach entscheiden. Dazwischen liegen unendlich viele Grautöne und die machen es uns schwer. Andererseits spricht Sarah Kersting etwas an, das wir alle kennen. Da wird im Leben anderer gebohrt, geforscht und gesucht, bis sich endlich die Schwachstelle findet. Und dann wird es skurril; alle guten Vorsätze vergessend wird getratscht, verleumdet und verurteilt, also fleißig mit Steinen geworfen, um die eigene Unzulänglichkeit mit dem Schmutz von anderen zuzudecken. Dabei ist keiner von uns ohne Schuld und Menschen entscheiden plötzlich darüber, wessen Schuld mehr wiegen würde.

Und das macht mir eines sehr klar.

Wenn wir als Christen von uns behaupten, dass wir aus Gnade in Jesus leben, dass wir nur durch sein Opfer und seinen Tod am Kreuz Rettung erfahren haben, dann können wir anderen Menschen diese Gnade doch nicht vorenthalten, oder?

Wenn es unser Glaube ist, dass Jesus für unsere Schuld gestorben ist, damit wir in Ewigkeit befreit und in seiner Gegenwart leben können, dann sind wir nicht die, die ohne Schuld wären und den ersten Stein werfen könnten!

Als sie nicht lockerließen, richtete er sich auf und sagte: »Wer von euch noch nie gesündigt hat, soll den ersten Stein auf sie werfen!« Joh. 8, 8

Wir erkennen hier einen sehr deutlichen Wandel, von der Gesetzeslehre hin zur Gnadenlehre. Und dieser Wandel war, wie wir alle wissen, notwendig, weil die Menschen mit dem Gesetz Gottes nicht zurecht kamen, weil sie nicht in der Lage waren sich an Gottes Gebote zu halten und das lesen wir ja auch schon in Levetikus 20, 13.

Mensch sein

Also ist jetzt alles egal, Wurscht was einer macht oder eben lässt?

Nehmen wir einmal an, wir wären alle gleich gut, oder gleich schlecht; aus Gottes Perspektive, dann müssen wir wohl zugeben, dass es uns als letzte zustehen würde, über andere zu richten, den ersten Stein zu werfen. Und dennoch geht es Gott, und Jesus hat dafür den Weg frei gemacht, darum, dass wir irgendwie miteinander auskommen und nicht vergessen, woher wir eigentlich kommen. Auch dass da ein Ziel auf uns wartet und wir keine Zeit zu vertrödeln haben uns mit der Schuldfrage zu beschäftigen, denn Schuld sind wir alle.

Es ist hier also mehr zu sehen, als wir mit unseren Äuglein wahrnehmen könnten. Wir müssen auch in unser Herz schauen!

Ich bin ja mehr oder weniger über Papst Franscikus Definition der “Ordo Amoris”, also der Nächstenliebe, mit dem Gleichnis des barmherzigen Samariters (Lk 10:25-37) gestolpert. Doch dieses Bild, den Menschen (auf/an)zunehmen, ohne nach seiner Herkunft, Rasse und Geschlecht, oder gar sexuellen Orientierung zu fragen, hat mich die Farbe im theologischen Grau erkennen lassen. Da steckt doch alles drin, was wir durch Jesus gelernt haben. Und jetzt stellt euch das mal praktisch vor, ihr findet auf dem Heimweg am Wegesrand eine hilflose Person. Ihr habt keine Ahnung, wie sie dort hingekommen ist, wer sie ist, was passiert ist, was sie beruflich macht, ob verheiratet, Kinder, Enkel, Arm oder Reich, welche sexuelle Orientierung diese Person hat, ob es vielleicht Vorstrafen gibt, oder die Person in eine Straftat verwickelt war und vielleicht deshalb nun am Wegesrand hilflos liegt und möglicherweise deine Hilfe braucht.

Würdest du in eine Befragung, in ein Verhör einsteigen, oder würdest du nicht schnellstmöglich Hilfe organisieren? Und würdest du nicht später versuchen herauszubekommen wie es dieser Person ergangen ist, weil du in Sorge wärst?

Wenn du vorüber gingest, so gehörst wohl zu denen, die den ersten Stein geworfen hätten. Würdest du der Person helfen, so gehörst du zu denen, die das mit der Nächstenliebe auch machen.

Ist nun also doch alles egal, Wurscht was einer macht oder eben lässt?

Paulus schrieb an die Christen in Korinth:

Darauf will ich antworten: Ob ihr esst oder trinkt oder was immer ihr sonst tut – alles soll zur Ehre Gottes geschehen. Seid für niemanden ein Hindernis zum Glauben, weder für die Juden noch für die Nichtjuden und auch nicht für die Mitchristen in Gottes Gemeinde. 1. Kor. 10, 31+32

Auch Paulus war offensichtlich solchen Diskussionen ausgesetzt. Die Menschen beschäftigten sich schon immer mehr mit den Verfehlungen anderer, als darüber nachzudenken, wie sie anderen helfen könnten.

Ich denke, das wichtigste ist und bleibt die Gute Nachricht!

Jesus ist für dich und für mich gestorben, damit der ewige Kreis von Schuld und Sühne, Zahn um Zahn durchbrochen werden konnte und es dir und mir einen Weg eröffnet, damit wir trotz unserer Schuld frei werden können und irgendwann Gott schauen werden.

Jesus ist für die Menschen gestorben, damit Verurteilungen aus einem System von Fehlern und Strafe ausgedient haben.

Wir dürfen also bei allem Mensch sein.

Und wir sollen bei allem auch menschlich sein!

Johann Wolfgang von Goethe schrieb in der ersten Strophe seines Gedichtes “Das Göttliche”:

Edel sei der Mensch,

Hilfreich und gut!

Denn das allein

Unterscheidet ihn

Von allen Wesen,

Die wir kennen.

Mensch zu sein, heißt eben auch, menschlich zu sein, mitfühlend, mitleidend, gnädig und barmherzig, wie der Samariter. Aber auch verständnisvoll, wenn einer lebt, wie wir es nicht verstehen und nicht wollen.

Ich bin ziemlich davon überzeugt, dass wir mit etwas mehr Samariterischer Barmherzigkeit den Schlüssel für ein von Nächstenliebe geprägtes Zusammenleben in der Hand haben. So wie es auch Franziskus beschrieben hat.

Nehmen wir diesen Gedanken ernst und trauen uns ihn zuzulassen, so verstehen wir auch, was Sarah Kersting mit ihrem Poetry herausfordert, ja fast schon einfordert. Wir können uns leider nicht hinter unserer Theologie und unseren Bibelversen verstecken, wenn wir es nicht schaffen, dem Samariter in uns, nach außen sichtbar werden zu lassen, dann sind wir selbst unsichtbar. Und nur weil das vielleicht bedeutet, mit Menschen zu tun zu bekommen, deren Tun wir nicht verstehen und das wir auch nicht für uns akzeptieren können, so ist da auch keiner der das von uns verlangen würde.

Und ich bin froh und von Herzen Gott dankbar, weil wir einander haben und uns gegenseitig Mut machen können, mit unseren Zweifeln nicht allein sein müssen. Denn was Sarah Kersting beschreibt; mit Mördern, Vergewaltigern, Terroristen usw. das ist doch wirklich eine Zumutung. Und Gott mutet uns diese Menschen zu, weil ER eben auch diese liebt, sie sind seine Geschöpfe, die ER liebt und genauso retten möchte wie uns. Und wer sagt denn, dass wir in SEINEN Augen so viel besser da stehen wie diese?

Wir dürfen IHM dabei nicht im Wege stehen, weil wir Angst haben, oder überfordert sind, vielleicht auch angewidert oder angeekelt, das alles trennt uns nicht nur von dem MENSCH, sondern auch von Gott.

Ich wünsche mir Kirchen voll mit Menschen, die füreinander da sind!

Ich wünsche mir Kirchen, die für Menschen da sind!

Ich wünsche mir Kirchen, voll mit Menschen, für die diese ein Zufluchtsort sind.

Ich wünsche mir Kirchen, die Gott verherrlichen, in Lob und Worten und Taten!

Ich wünsche mir Kirchen, die in stürmischen Zeiten der Fels in der Brandung sind und in ruhigen Zeiten ein Ort der Freude, des Jubels und der Anbetung!

Ich wünsche mir Kirchen, in denen das Wort von nächstenLIEBE keine Floskel ist, sondern zur Tat wird.

… und was wünschst du dir von den Kirchen?

Amen


1: https://www.youtube.com/watch?v=pJWY8Hy0ZlM

Zusätze
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